Der Gutachtenstil
Das Wichtigste in Kürze:
- Der Gutachtenstil ist der Mechanismus, um juristische Fragen zu beantworten und für Juristen sehr wichtig.
- Der Gutachtenstil besteht aus vier Schritten:
- Obersatz
- Definition
- Subsumtion
- Ergebnis - Beispiel: Durch den Schlag gegen den Kopf der A könnte B eine Gesundheitsschädigung herbeigeführt haben (Obersatz). Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen eines krankhaften Zustandes (Definition). A hat durch den Schlag eine Platzwunde erlitten, sodass ein krankhafter Zustand herbeigeführt wurde (Subsumtion). Somit liegt eine Gesundheitsschädigung vor (Ergebnis).
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Was ist der Gutachtenstil?
Der Gutachtenstil ist der Mechanismus, mit dem juristische Probleme gelöst werden. Beim Gutachtenstil wird mit dem Obersatz zuerst eine Frage aufgeworfen, die geprüft werden soll. Anschließend wird im zweiten Schritt der Maßstab zur Problemlösung herausgearbeitet. Die aufgeworfene Frage wird dann anhand des Maßstabes beantwortet, sodass am Ende das Ergebnis festgestellt werden kann.
Wie ist das Prüfungsschema beim Gutachtenstil?
Die Prüfung im Gutachtenstil besteht aus vier Schritten, dem Obersatz, der Definition, der Subsumtion und dem Ergebnis.
- Obersatz: Stellt die Frage dar, welche aufgeworfen wird.
- Definition: Stellt mit einer abstrakten Begriffsbestimmung die Anforderungen auf, welche im konkreten Fall vorliegen müssen, damit die Ausgangsfrage positiv beantwortet werden kann.
- Subsumtion: Prüft, ob die zuvor in der Definition aufgestellten Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen.
- Ergebnis: Stellt das Ergebnis auf die aufgeworfene Frage dar.
Was ist der Obersatz im Gutachtenstil?
Der Obersatz stellt die Hypothese dar, welche in den nächsten Schritten geprüft wird. Wichtig bei Formulieren eines Obersatzes ist, dass der Obersatz nie als Frage formuliert wird. Stattdessen wird der Konjunktiv verwendet. Beim Obersatz der Einzelmerkmalsprüfung ist es insbesondere wichtig, dass der Obersatz klar formuliert wird, sodass es für den Leser ersichtlich ist, welche Voraussetzung geprüft wird.
Im folgenden zwei Beispiele zum Gutachtenstil:
- Zivilrecht: Ein Grundstück ist mit Altlasten (z.B. Gift) verseucht, worüber der Verkäufer den Käufer nicht aufgeklärt hat, sodass eine Anfechtung des Kaufvertrages wegen einer arglistigen Täuschung, § 123 I 1 Alt. 1 BGB, in Betracht kommt.
-> Obersatz für den Prüfungspunkt „Täuschung“: Indem der Verkäufer den Käufer nicht über die Verseuchung durch Altlasten informiert hat, könnte eine Täuschung vorliegen. - Strafrecht: Zwei Freunde haben einen Streit, der sich aufheizt und dazu führt, dass A den B gegen eine Wand stößt. Es stellt sich somit unter anderem die Frage, ob eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 I Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB vorliegt, indem die Wand ein gefährliches Werkzeug darstellt.
-> Obersatz für den Prüfungspunkt „anderes gefährliches Werkzeug“, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB: Der Stoß gegen die Wand könnte eine Körperverletzung mit einem anderen gefährlichen Werkzeug darstellen.
Welche Bedeutung hat die Definition?
Die Definition stellt den abstrakten Maßstab dar, anhand dessen die Beantwortung des Obersatzes herausgearbeitet wird. Um eine Klausur zufriedenstellend zu bearbeiten, ist es wichtig, korrekte Definitionen zu verwenden. Grundsätzlich müsste man als Student also jede Definition beherrschen. Es ist allerdings unmöglich, alle Definitionen auswendig zu lernen. Um eure Lernzeit zu reduzieren, würden wir Euch deshalb dazu raten, dass Ihr solche Definitionen auswendig lernt, die häufig vorkommen (sog. „Kernbereichsdefinitionen“), und bezüglich der anderen Definitionen lernt, diese selbstständig in der Klausur zu entwickeln.
Es ist für Jura-Studenten unmöglich, jede Definition auswendig zu lernen. Wenn es etwa um die Frage geht, ob ein Wasserfahrzeug iSd. § 306 Abs. 1 Nr. 4 Var. 4 StGB vorliegt, dann kann man sich eine brauchbare Definition selbst herleiten. Dafür beschreibt man so präzise wie möglich das eigene Bild, welches man von Wasserfahrzeugen hat. Außerdem kann man die Informationen, welche der Sachverhalt beinhaltet, gut nutzen, um abstrakte Begriffe für diese Informationen zu finden, welche man in der Definition verwendet. Dieses Vorgehen spart Euch viel Zeit.
Beispiel:
- Wie bildet man die Definition von „Wasserfahrzeug“ iSd § 306 Abs. 1 Nr. 4 Var. 4 StGB ohne genauere Kenntnisse zu haben?
- Für die Definition sind 3 Aspekte wichtig. Zwei zentrale Merkmale kann man aus dem Wort selbst ableiten und das dritte Merkmal kann man aus der Systematik des Gesetzes ableiten. Erstens muss es sich um ein Fahrzeug handeln, wie sich aus dem Wort selbst ergibt, also ein Fortbewegungsmittel, sodass der Gegenstand zur Fortbewegung geeignet und bestimmt sein muss. Zweitens muss diese Fortbewegung auf dem Wasser erfolgen. Außerdem kann noch aus § 306 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 StGB geschlossen werden, dass die Antriebsart ohne Bedeutung ist, indem keine Beschränkung auf „Wasserkraftfahrzeuge“ erfolgt, wie es in der ersten Variante der Fall ist. Ein Wasserfahrzeug ist somit ein Gegenstand, der zur Fortbewegung auf dem Wasser geeignet und bestimmt ist unabhängig von der Antriebsform.
Was ist die Subsumtion?
In der Subsumtion wird geprüft, ob die Voraussetzungen der Definition in dem konkreten Einzelfall vorliegen. Beim Subsumieren in der Klausur ist es besonders wichtig, dass man alle Informationen des Sachverhaltes auswertet, denn nur wenn alle relevanten Informationen ausgewertet wurden, liegt eine umfassende Prüfung vor. Eine besondere Herausforderung liegt in der Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. das Vorliegen einer Gefahr im Polizeirecht). Im Beitrag unbestimmte Rechtsbegriffe haben wir Euch hierzu einen extra Beitrag geschrieben, wo wir Euch umfangreich darstellen, wie man in der Klausur mit solchen Problemen umgeht.
Was ist das Ergebnis beim Gutachtenstil?
Im Ergebnissatz stellt ihr das Ergebnis Eurer Subsumtion unter die Definition dar. Dies mag Euch, gerade zu Beginn eurer Ausbildung, zwar wie eine Banalität vorkommen, trotzdem ist es wichtig, immer kurz das Ergebnis darzustellen. Dadurch zeigt Ihr einerseits, dass Ihr sorgfältig arbeitet und andererseits erleichtert Ihr es auch dem Korrektor der Klausur euren Ausführungen zu folgen, sodass Eure Klausur deutlich strukturierter wird.
Die Gesamtprüfung im Gutachtenstil
In einer juristischen Klausur erfolgt nicht nur die Prüfung eines einzelnen Merkmals im Gutachtenstil, sondern das gesamte Gutachten selbst ist im Gutachtenstil aufgebaut. Auch das gesamte Gutachten selbst erfolgt in einer vierschrittigen Prüfung.
- Obersatz: Auch im Rahmen der Gesamtprüfung stellt der Obersatz die Ausgangshypothese dar, die in den nächsten Schritten überprüft wird. Der Inhalt eines solchen Obersatzes ist in den drei Rechtsgebieten unterschiedlich. Im Zivilrecht ist der Obersatz immer auf die Rechtsfolge gerichtet, das bedeutet, dass der Obersatz den Anspruchsteller, Anspruchsgegner, das Anspruchsziel und die Anspruchsgrundlage enthalten muss. Im Strafrecht muss der Obersatz die Person, das Tatverhalten (bzw. das Unterlassen) und den Straftatbestand enthalten. Im Öffentlichen Recht ist normalerweise zu prüfen, ob eine Klage oder ein Antrag Aussicht auf Erfolg hat.
- Definition & Subsumtion: Die Definition und Subsumtion erfolgt im Gesamtgutachten durch die Prüfung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen oder Tatbestandsmerkmale. Die Definition enthält somit die einzelnen Tatbestandsmerkmale, die erfüllt sein müssen, damit ein Anspruch besteht bzw. eine Strafbarkeit vorliegt. Die „Definition“ wird allerdings aus Effizienzgründen häufig weggelassen. Stattdessen erfolgt direkt die Subsumtion, also die Prüfung der Tatbestandsmerkmale bzw. Anspruchsvoraussetzungen.
- Ergebnis: Das Ergebnis stellt auch wiederum die Antwort auf den Obersatz, also die Ausgangshypothese dar.
Beispiel: Prüfung eines Nacherfüllungsanspruchs

Verkürzter Gutachtenstil
Der verkürzte Gutachtenstil stellt eine Abwandlung des Gutachtenstils dar, mit dem in der Klausur weniger problematische Fragen beantwortet werden können. Mehr dazu in unserem Artikel zum verkürzten Gutachtenstil.
Wichtig: Übersichtlichkeit
Eine Klausurlösung besteht somit aus einer Verschachtelung von vielen Prüfungen im Gutachtenstil. Dies führt allerdings dazu, dass der Korrektor schnell den Überblick verliert, an welchem Punkt der Prüfung man sich gerade befindet. Um selbst den Überblick nicht zu verlieren und auch dem Korrektor zu ermöglichen, die Struktur der Lösung zu erkennen, ist es von hoher Relevanz besonders strukturiert vorzugehen. Dies kann man in der Klausur gut dadurch umsetzen, dass man Zwischenüberschriften macht, Gliederungsebenen verwendet und Absätze bewusst setzt, um den Text zu strukturieren.
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