Schwerpunktsetzung in Jura-Klausuren
Das Wichtigste in Kürze:
- Studierende erhalten nur für das Lösen von relevanten Problemen Punkte. Die Schwerpunktsetzung ist deshalb für eine erfolgreiche Klausur essenziell.
- Um die Probleme des Falls zu erkennen, hilft es, den Sachverhalt zu spiegeln, die Normallfallmethode und die analytische Gutachtenmethode anzuwenden.
- Studierende sollten sich nach dem Erstellen der Lösungsskizze überlegen, an welcher Stelle die Schwerpunkte der Klausur liegen, damit sie beim Ausformulieren der Lösungsskizze die Zeit effizient allokieren.
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Was bedeutet Schwerpunktsetzung in Jura-Klausuren?
Juristen verstehen unter der Schwerpunktsetzung das Erkennen und ausführliche Bearbeiten der Probleme der Klausur. Die sehr hohe Bedeutung der Schwerpunktsetzung folgt daraus, dass Punkte in juristischen Klausuren ausschließlich für das überzeugende Lösen der klausurrelevanten Probleme vergeben werden. Daraus folgt, dass die Schwerpunktsetzung durch mehrere Fehlertypen beeinträchtigt werden kann, die zu (hohen) Punktverlusten führen können:
- Ein im Sachverhalt angelegtes Problem nicht bearbeiten: Da die Studierenden das Problem nicht angesprochen haben, kann der Korrektor für die Lösung des Problems keine Punkte vergeben.
- Ein im Sachverhalt nicht angelegtes Problem bearbeiten: Für diese Bearbeitung erhalten Studierende keine Punkte. Die Ausführungen sind für die Lösung des konkreten Falls nicht notwendig, sodass die Ausführungen in einem Gutachten als falsch gewertet werden. Dieser Fehler hat außerdem zur Folge, dass Studierende Zeit für ein irrelevantes Problem aufwenden und damit weniger Zeit für die in der Klausur angelegten Probleme haben. Die Bedeutung dieser Folge dürfen Studierende nicht unterschätzen. Viele Klausuren sind darauf angelegt, den Bearbeiter unter Zeitdruck zu setzen. Wenn man die knappe Zeit dann für irrelevante Probleme verwendet, führt dies in der Regel dazu, dass Studierende andere Probleme unzureichend bearbeiten und dadurch Punkte verlieren.
- Unzureichende Bearbeitung eines Problems: Es genügt nicht, ein Problem nur anzusprechen und die Lösung festzustellen. Vielmehr muss die gewählte Lösung überzeugend argumentativ begründet werden. Spiegelbildlich wäre es ebenso falsch, seitenlange Ausführungen zu jedem kleineren Schwerpunkt zu machen.
Um in Klausuren möglichst viele Punkte zu sammeln, ist es deshalb wichtig, dass die Schwerpunktsetzung gelingt. Das ist der Fall, wenn Studierende die in der Klausur angelegten Probleme ausführlich behandeln und sich sonst auf das Wesentliche beschränken.
Wie erkennt man die Probleme des Sachverhaltes?
Es gibt nicht den einen Königsweg, mit dem Studierende alle Probleme in einem Fall erkennen. Diese Mittel helfen allerdings dabei, die Probleme eines Falls zu identifizieren:
- Den Sachverhalt spiegeln
- Die Normalfallmethode
- Die analytische Gutachtenmethode
1. Sachverhalt spiegeln
Die Aufgabe in einer Klausur besteht darin, den Sachverhalt rechtlich zu würdigen. Deshalb ist der Sachverhalt selbst auch von herausragender Bedeutung, um Probleme zu identifizieren. Die wichtigste Methode zum Erkennen von Problemen ist es, dass die geschriebene Klausur den Sachverhalt spiegelt, also erstens alle Sachverhaltsangaben verarbeitet und zweitens den Umfang der Ausführungen berücksichtigt. Hierbei gilt die Grundregel, dass je mehr zu einem Aspekt im Sachverhalt geschrieben wird, desto umfangreicher der Aspekt auch in der Klausur zu bearbeiten ist.
Beispiel: Wenn in einem Sachverhalt sehr präzise und umfangreich beschrieben wird, dass ein Gebrauchtwagen mit einem Motor verkauft wird, der deutlich stärker abgenutzt ist, als es zu erwarten war, dann würde die Mangelprüfung einen Klausurschwerpunkt darstellen. Wird hingegen nur kurz gesagt, dass das Auto einen Motorschaden aufweist, dann würde die Mangelprüfung keinen Schwerpunkt darstellen, da offensichtlich ein Mangel vorliegt.
Weitere wichtige Indizien:
- Daten / Zeitangaben: Solche Angaben stehen normalerweise nicht grundlos im Sachverhalt, sondern sind regelmäßig ein Indiz dafür, dass eine Frist berechnet werden muss, etwa im Rahmen der Verjährung.
- Parteivortrag: Mit dem Parteivortrag hat der Klausurersteller die Möglichkeit, den Bearbeitern einen Hinweis zu geben. Dies wird häufig dafür genutzt, um die Bearbeiter auf weniger bekannte Probleme hinzuweisen. Somit stellt der Parteivortrag ein sehr wichtiges Mittel dar, um Probleme zu identifizieren. Umgekehrt gibt es fast keinen Fall, in dem der Parteivortrag für die Lösung der Klausur keine Bedeutung hat. In einem solchen Fall hätte der Klausurersteller den Parteivortrag einfach weggelassen.
- Vertragsklauseln / Rechtsbehelfsbelehrungen: Normalerweise enthält eine Klausur keine Informationen zu genauen Vertragsklauseln oder Rechtsbehelfsbelehrungen. Wenn im Sachverhalt solche Klauseln allerdings abgedruckt werden, dann hat das oft den Grund, dass sie problematisch sind!
- Konzessive Satzverbindung: Mit einer konzessiven Satzverbindung (z.B. „aber“, „trotzdem“, „allerdings“, „obwohl“) wird darauf hingewiesen, dass das Sachverhaltsgeschehen atypisch verlaufen ist. Ein solches Abweichen vom Normalfall ist häufig ein Indikator dafür, dass an der Stelle ein Problem liegt.
Beispiel: Es ist ein Nacherfüllungsanspruch zu prüfen und der Sachverhalt enthält die Aussage „Das Auto hat Rostschäden, den Mangel hätte der Käufer aber erkennen können, wenn er sich die Kaufsache sorgfältig angeschaut hätte“. Somit weist das Wort „aber“ darauf hin, dass ein Schwerpunkt bei § 442 BGB liegt.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass eine sorgfältige Auswertung des Sachverhalts den Grundstein für eine gelungene Schwerpunktsetzung legt, indem auf viele Probleme im Sachverhalt bereits hingewiesen wird.
Übungstipp: Wenn Ihr Fälle der Arbeitsgemeinschaft nachgearbeitet habt, nehmt Euch noch einmal den Sachverhalt zur Hand und streicht alle Informationen durch, die ihr in der Lösungsskizze verwertet habt. Viel bleibt im Sachverhalt nicht stehen.
2. Normalfallmethode
Sehr hilfreich zum Identifizieren von Problemen ist zudem die Normalfallmethode. Dabei vergleicht man den vorliegenden Sachverhalt mit dem Normalfall. Bei den Unterschieden zwischen dem Sachverhalt und dem Normalfall handelt es sich in der Regel um Aspekte, die Studierende problematisieren müssen. Sonst hätte der Ersteller der Klausur wohl kaum eine solche Abweichung vom Normalfall in die Klausur eingebaut.
Beispiel: Probleme beim Diebstahl identifizieren
Sachverhalt: Ein Buchladen hat vor den Schaufenstern (auf der Straße) eine Verkaufsauslage. Ein Mann steckt ein Buch ein und geht weg, während der Verkäufer gerade im Lager ist. Der Mann ist Polizist und trägt deshalb eine Pistole.
Normalfall: Jemand steckt eine Sache in einem Laden ein, während der Verkäufer im Laden ist. Bei dem Dieb handelt es sich normalerweise nicht um einen Polizisten.
Abweichungen vom Normalfall:
- Verkaufsauslage vor dem Laden: Somit ist die Wegnahme (Aufhebung alten Gewahrsams) zu problematisieren.
- Eigenschaft als Polizist & das Tragen einer Waffe: Die Problematik der Berufswaffenträger ist somit anzusprechen.
3. Analytische Gutachtenmethode
Bei der analytischen Gutachtermethode prüft man jedes Wort eines Paragrafen auf die Relevanz für die Falllösung. Im Prinzip handelt es sich bei der analytischen Gutachtenmethode also das sorgfältige Arbeiten mit dem Gesetz. Mit der analytischen Gutachtermethode können insbesondere Analogien gut erkannt werden.
Beispiel: Analoge Anwendung von § 906 II 2 BGB bei Grundstücksbesitzern, die nicht Eigentümer sind.
- § 906 BGB
(1) […]
(2) […]. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
(3) […]
- Nach dem Wortlaut des § 906 II 2 BGB hat nur der Grundstückseigentümer einen Ausgleichsanspruch. Fraglich ist somit, ob auch dem Besitzer eines Grundstücks ein solcher Ausgleichsanspruch zusteht. Wenn Studierende die analytische Gutachtenmethode anwendet, kommen sie zum Wort „Eigentümer“ und würden zum Ergebnis kommen, dass nach dem Wortlaut kein Anspruch besteht. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob nicht die Situation, in der sich der Besitzer befindet, mit der Situation eines Eigentümers vergleichbar ist, sodass die Vorschrift entsprechend anwendbar sein sollte.
Wie erkennt man systematische Probleme?
Sehr anspruchsvoll ist es, systematische Probleme zu erkennen, also etwa die Frage, ob die Haftungsprivilegierung aus dem Schenkungsrecht (§ 521 BGB) auch auf deliktsrechtliche Ansprüche anwendbar ist. Die hohe Schwierigkeit folgt daraus, dass solche Probleme typischerweise nicht im Sachverhalt angesprochen werden. Um die Probleme in der Klausur trotzdem zu bearbeiten, müssen Studierende einen Weg finden, solche Probleme in der Klausur zu erkennen.
Einerseits können Studierende die Probleme auswendig lernen. Dieser Weg wird allerdings auf Dauer nicht zum Erfolg führen, da es deutlich mehr Probleme gibt, als sich ein Mensch merken kann.
Deshalb ist es in der Klausur ratsam, die eigene Lösung zu hinterfragen. Insbesondere nachdem Studierende die Lösungsskizze erstellt haben und mit dem Schreiben der Klausur beginnen möchten, ist es hilfreich, wenn sie sich kurz fragen, ob das Gesamtergebnis sinnvoll ist. Bei dem obigen Beispiel bezüglich der Haftungsprivilegierung etwa wäre es widersprüchlich, einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aufgrund der Haftungsprivilegierung (§ 521 BGB) abzulehnen, dann aber einen gesetzlichen (deliktischen) Schadensersatzanspruch anzunehmen, weil dort ein strengerer Haftungsmaßstab gilt (indem auch die einfache Fahrlässigkeit erfasst wird).
Umgang mit Standardproblemen
In Klausuren begehen Studierende schnell den Fehler, ein Standardproblem ausführlich zu bearbeiten, ohne dass das Problem in der konkreten Situation einschlägig ist. Dadurch wird die Schwerpunktsetzung stark beeinträchtigt. Ursache dafür ist häufig, dass Studierende dieses Problem auswendig gelernt haben und dieses Wissen präsentieren möchten. Um diesen Fehler, den man häufig als „Wissensprostitution“ bezeichnet, nicht zu begehen, ist es wichtig, dass Studierende sich immer fragen, ob dieses Standardproblem auch in diesem konkreten Fall einschlägig ist. Hierbei ist es insbesondere wichtig, sich zu fragen, ob nicht eine Abweichung von der Standardkonstellation vorliegt, sodass Studierende nicht auf die Standardargumente zurückgreifen können, sondern eine auf den Einzelfall angepasste Argumentation erforderlich ist oder die Konstellation – abweichend vom Standardfall – gar nicht problematisch ist.
Anzahl an Problemen
Um die Schwerpunktsetzung gut zu meistern, also alle relevanten Probleme zu bearbeiten, ist es hilfreich zu wissen, wie viele Probleme der Fall enthält. Hierfür gibt es keine allgemeingültige Antwort, da jede Klausur individuell ist. Allerdings gibt es eine Faustformel, welche sich gut als Richtwert eignet. Danach gibt es ein Problem für jede Stunde Bearbeitungszeit. Somit enthält etwa eine fünfstündige Examensklausur ca. 5 Probleme, die Studierende ausführlich bearbeiten müssen. Wichtig ist allerdings, dass es sich bloß um eine Faustformel handelt, sodass etwa eine „Rennfahrerklausur“ im Strafrecht auch 7 Probleme beinhalten kann, während es andere Klausuren gibt, die nur 4 Probleme beinhalten.
Probleme darstellen
Hierzu haben wir Euch wegen der hohen Relevanz einen eigenen Beitrag geschrieben (Link).
Hilfsmittel beim Erstellen der Lösungsskizze
Wie eingangs erklärt, ist es in einer Klausur von hoher Bedeutung, dass Studierende erkennen, wo die Schwerpunkte der Klausur liegen und dies auch in der eigenen Klausurlösung deutlich machen. Somit dürfen Studierende nur diese Problemschwerpunkte ausführlich erörtern, während Studierende sich an allen anderen Stellen kurzhalten müssen. Im Klausurstress kann es allerdings passieren, dass Studierende an unproblematischen Stellen zu viel schreiben und ihnen dann die Zeit fehlt, sich den Problemen des Falls ausführlich zu widmen. Dies ist sehr ärgerlich, da die Studierenden an sich die Probleme erkannt haben, dies aber dem Korrektor nicht zeigen können.
Lösung: F/G/P/PP-Regel
Allerdings gibt es ein Hilfsmittel, das Studierende davor schützt, diesen Fehler zu begehen – die F/G/P/PP-Regel.
Wenn Studierende eine Lösungsskizze erstellen, können Studierende in dieser Lösungsskizze für jeden Prüfungspunkt eintragen, in welchem Umfang dieser zu bearbeiten ist:
- F steht hierbei für den Feststellungsstil, also dass der Aspekt beim Ausschreiben im Feststellungsstil beantwortet wird, und repräsentiert völlig evidente Prüfungspunkte.
- G steht für eine Bearbeitung im Gutachtenstil (Link), also für Prüfungspunkte, die zwar kein Problem beinhalten, aber auch nicht völlig evident sind, sodass der normale Gutachtenstil angewendet wird.
- P steht für „Problem“ und bedeutet, dass hier eines der Klausurprobleme liegt. Hier wird also ausführlich gearbeitet.
- PP repräsentiert das Hauptproblem der Klausur. Manche Klausuren beinhalten ein Problem, das deutlich bedeutender ist als die anderen Probleme, dieses Hauptproblem ist für die Bewertung von höchster Bedeutung, sodass an dieser Stelle auch am ausführlichsten gearbeitet werden muss. Ein Beispiel für ein solches Hauptproblem ist häufig die Prüfung der Verhältnismäßigkeit in einer Verfassungsbeschwerde. Diese ist häufig das mit Abstand wichtigste Problem der Klausur, sodass dieses Problem das Hauptproblem der Klausur darstellt und auch entsprechend umfangreich bearbeitet werden muss.
Wenn Studierende diese Regel anwenden, wissen Sie beim Ausschreiben der Klausur bei jedem Prüfungspunkt direkt, in welchem Umfang sie diesen zu bearbeiten haben. Damit setzen solche Studierende die Schwerpunktsetzung beim Schreiben der Klausur diszipliniert um.
Durchstreichen des Sachverhaltes
Ein weiteres Hilfsmittel für eine gelungene Schwerpunktsetzung ist es, den die Sachverhaltspassagen durchzustreichen, nachdem Studierende die Lösungsskizze erstellt haben. Dadurch können Studierende überprüfen, ob sie wirklich jede Sachverhaltsinformation verwendet haben. Denn wie oben dargestellt, ist der Sachverhalt eine zentrale Quelle, um Probleme zu erkennen. Indem Studierende nach dem Erstellen der Lösungsskizze überprüfen und schauen, dass Sie alle Informationen verwertet haben oder sich sicher sind, dass die Informationen für die Lösung der Klausur keine Bedeutung haben, stellen Studierende sicher, dass sie keine Probleme übersehen.