Prüfung der Analogie
Das Wichtigste in Kürze:
- Bei einer Analogie wird eine mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen nicht einschlägige Rechtsnorm auf einen ähnlichen, versehentlich gesetzlich nicht geregelten Sachverhalt angewendet.
- Es gibt im Strafrecht keine Analogie zu Lasten des Straftäters.
- Beispiel: Fehlt bei der Abgabe einer Willenserklärung das Erklärungsbewusstsein, wird § 119 Abs. 1 BGB nach der hM analog anwendet, obwohl § 119 Abs. 1 BGB eigentlich den fehlenden Geschäftswillen regelt.
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Was ist eine Analogie?
Wenn eine Rechtsnorm auf einen ähnlichen, versehentlich gesetzlich nicht geregelten Sachverhalt angewendet wird, obwohl der Wortlaut eindeutig nicht einschlägig ist, spricht man von einer analogen Anwendung. Eine Analogie ist eine Form der richterlichen Rechtsfortbildung.
Welche Voraussetzungen hat eine Analogie?
Das Überschreiten des Wortlauts bedarf einer besonderen Rechtfertigung, um die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu wahren. Eine Analogie hat zwei Voraussetzungen. Es muss eine planwidrige Regelungslücke bestehen und die Interessenlage muss vergleichbar sein.
1. Planwidrige Regelungslücke
Eine planwidrige Regelungslücke liegt vor, wenn der Gesetzgeber eine Situation versehentlich nicht geregelt hat.
Eine Regelungslücke liegt vor, wenn der Gesetzgeber die konkrete Situation selbst nicht geregelt hat. Grund für diese Voraussetzung ist, dass das Recht nur dort von der Rechtsprechung fortgebildet werden darf, wo der Gesetzgeber nicht tätig geworden ist. Hat der Gesetzgeber die Situation bereits geregelt, muss diese Entscheidung hingegen akzeptiert werden.
Außerdem muss die Regelungslücke planwidrig sein. Der Gesetzgeber muss die Situation also versehentlich nicht geregelt haben. Dies kann etwa vorkommen, wenn der Gesetzgeber bestimmte Situationen beim Entwurf des Gesetzes nicht vorhersehen konnte oder schlicht übersehen hat. Hat der Gesetzgeber hingegen bewusst keine Regelung getroffen, ist dies von der Rechtsprechung hinzunehmen.
2. Vergleichbare Interessenlage
Die zweite Voraussetzung einer Analogie ist die vergleichbare Interessenlage. Die Interessenlage im konkreten Fall muss vergleichbar mit der Interessenlage in den nach der Wertung des Gesetzes entscheidenden Punkten sein. Denn nur wenn die beiden Situationen miteinander vergleichbar sind, kann die Entscheidung des Gesetzgebers, die sich in der Norm niedergeschlagen hat, auf die nicht geregelte Situation übertragen werden.
Wie prüft man eine Analogie in der Klausur?
Wenn man in der Klausur eine Analogie prüft, muss man grundsätzlich immer auf beide Voraussetzungen eingehen. Hierbei gilt es allerdings einige Besonderheiten zu beachten.
Die beiden kumulativ zu prüfenden Voraussetzungen werden klassischerweise unabhängig voneinander geprüft. Schwierigkeiten bestehen allerdings bei der Prüfung der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Denn während der Bearbeitung der Klausur kann man nicht auf die Gesetzgebungsmaterialien zurückgreifen. Somit kann als Indiz für die Planwidrigkeit der Regelungslücke nur die vergleichbare Interessenlage herangezogen werden. Mit diesem Vorgehen stellt Ihr sicher, dass der Korrektor Euch nicht vorwerfen kann, ihr würdet das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke nur postulieren.
Prüfungsschema für eine Analogie
Um diese Argumentation optimal einbauen zu können, bieten sich in der Klausur zwei unterschiedliche Prüfungsschemata an. Ihr könnt Euch einfach für die Reihenfolge entscheiden, die Euch besser gefällt
Option 1:
- Regelungslücke
- Vergleichbare Interessenlage
- Planwidrigkeit der Regelungslücke
Option 2:
- Vergleichbare Interessenlage
- Planwidrige Regelungslücke
Schwerpunkt der Prüfung: Vergleichbare Interessenlage
Der Schwerpunkt in der Prüfung einer Analogie liegt normalerweise in der Prüfung der vergleichbaren Interessenlage. Eine solche Prüfung besteht in der Regel aus zwei Schritten. Zuerst muss man herausarbeiten, welchen Zweck die Norm in den nach der Wertung des Gesetzes entscheidenden Punkten verfolgt. Danach muss man prüfen, ob dieser Zweck auch in der vorliegenden Situation einschlägig ist. Dabei sollte man herausarbeiten ob die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Konstellationen wertungsmäßig relevante Aspekte oder eher irrelevante Aspekte betreffen.
Prüfung der planwidrigen Regelungslücke
Auch die Prüfung der planwidrigen Regelungslücke erfolgt grundsätzlich in zwei Schritten. Im ersten Schritt muss das Vorliegen einer Regelungslücke festgestellt werden. Dieser Schritt stellt einen in der Klausur selten vor Herausforderungen und sollte knapp ausfallen. Im zweiten Schritt muss dargelegt werden, dass das Gesetz planwidrig unvollständig ist, dem Gesetzgeber also ein Versehen unterlaufen ist. An dieser Stelle könnt ihr Eure Argumentation zur vergleichbaren Interessenlage aufgreifen und diese als Indiz für die Planwidrigkeit anführen. Allerdings solltet ihr an dieser Stelle nicht „stehenbleiben“. Macht Euch zumindest kurz Gedanken, ob Euch andere z.B. systematische Argumente einfallen die für oder gegen eine Planwidrigkeit der Regelungslücke sprechen.
Strafrecht: Keine Analogie zu Lasten des Täters
Des Weiteren ist es wichtig, dass es im Strafrecht keine Analogien zu Lasten des Täters gibt. Dies folgt aus Art. 103 II GG und bedeutet, dass man etwa § 223 StGB nicht analog anwenden kann, wenn einer Person bloß psychischen Schmerz zugefügt wurde. Dabei liegt die Betonung auf zu Lasten, zugunsten eines Täters ist eine Analogie selbstverständlich zulässig. Zum Beispiel wird § 16 Abs. 1 StGB analog beim Erlaubnistatbestandsirrtum zu Gunsten des Täters angewendet, der irrig einen Sachverhalt annimmt, welcher ihn rechtfertigen würde.
Abgrenzung zur Auslegung und zum Meinungsstreit
Auf den ersten Blick sind sich die Auslegung einer Norm und die Prüfung einer Analogie recht ähnlich. Die Frage, ob eine Regelungslücke vorliegt, erinnert an die Wortlautauslegung, und die Prüfung der vergleichbaren Interessenlage ähnelt der teleologischen Auslegung. Allerdings ist eine Unterscheidung zwingend und diese muss auch in Eurem Gutachten deutlich werden.
Auslegung und Analogie stellen gewissermaßen zwei aufeinanderfolgende Stufen dar. Im ersten Schritt müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen die Methoden der Auslegung ausgeschöpft werden. Erst wenn die Möglichkeiten der Auslegung einer Norm erschöpft sind, kann auf eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege einer Analogie zurückgegriffen werden. In der Klausur bedeutet dies, dass es in der Regel nur sinnvoll ist eine Analogie anzusprechen, wenn der Wortlaut eindeutig dem angestrebten Ergebnis widerspricht. Ist der Wortlaut hingegen unklar, dann sollte man das Problem eher im Rahmen der Auslegung aufbauen.
Was ist der Unterschied zwischen der teleologischen Reduktion und der Analogie?
Eine teleologische Reduktion liegt vor, wenn ein Fall vom Wortlaut der Norm erfasst ist, obwohl sich die Interessenlage gegenüber anderen vom Wortlaut erfassten Fällen maßgeblich unterscheidet und dies vom Gesetzgeber nicht intendiert war.
Warum ist eine Analogie überhaupt zulässig?
Aus der verfassungsrechtlich vorgegebenem Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 2 GG) und dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt sich, dass die Aufgabe der Rechtsprechung nur die Anwendung und nicht die Schöpfung des Rechts ist. Letzteres ist Aufgabe des Gesetzgebers. Deshalb ist der Wortlaut einer Norm grundsätzlich die Grenze der Auslegung. Jedoch kann es Geschehen, dass der Gesetzgeber „planwidrig“ also „versehentlich“ den Wortlaut einer Norm zu eng fasst. In diesem Fall kann und muss die Rechtsprechung den gesetzgeberischen Willen durch eine Rechtsfortbildung im Wege einer Analogie verwirklichen um der Bindung an das Gesetz gerecht zu werden.
Beispiel
- Sachverhalt: A ist Mieter eines Hauses, sein Nachbar B hat einen Malerbetrieb. Der für den Malterbetrieb genutzte LKW erzeugt so starken Lärm, dass A hierdurch gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet. Kann A von B die Unterlassung der LKW-Nutzung verlangen?
- Gutachterliche Lösung:
A könnte gegen B einen Anspruch auf Unterlassung der Nutzung des LKWs aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB haben. Indem A nicht Eigentümer des Hauses ist, ist § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB nicht unmittelbar einschlägig.
Allerdings könnte ein Anspruch auf Unterlassung der Nutzung des LKWs aus der analogen Anwendung des § 1004 Abs. 1 S.2 BGB folgen.
Dies setzt voraus, dass eine Regelungslücke vorliegt, die Interessenlage vergleichbar ist und die Regelungslücke planwidrig ist. Indem es keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage für das Unterlassen von Gesundheitsbeeinträchtigungen gibt, liegt eine Regelungslücke vor.
Auch müsste die Interessenlage vergleichbar sein. Eine Interessenlage ist vergleichbar, wenn die Situation, welche der Norm zu Grunde liegt, der vorliegenden Situation so ähnlich ist, dass eine gleiche Behandlung geboten ist.
Mit § 1004 Abs. 1 BGB wird das Ziel verfolgt, Eigentumsbeeinträchtigungen zu verhindern. § 823 Abs. 1 BGB ermöglicht nur einen indirekten, repressiven Schutz, indem die Pflicht zum Ausgleich der ökonomischen Beeinträchtigung besteht. Damit der Eigentümer sein Eigentum effektiv schützen kann, ist es allerdings auch erforderlich, dass der Eigentümer sein Eigentum präventiv vor Beeinträchtigungen schützen kann. Einen solchen Schutz ermöglicht § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, indem ein Anspruch auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen besteht. Der Anwendungsbereich des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ist allerdings auf das Unterlassen von Beeinträchtigung des Eigentums beschränkt. Im vorliegenden Fall liegt eine Gesundheitsbeeinträchtigung vor, welche ebenfalls als absolutes Recht von § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird. Somit läuft der repressive Schutz bei Eigentumsbeeinträchtigungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen gleich. Indem auch der Schutz der Gesundheit eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition darstellt, vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, handelt es sich bei dem Eigentumsschutz und Gesundheitsschutz um zwei gleichwertige Rechtspositionen. Wenn also schon bei beiden Rechtsgütern der repressive Rechtsgüterschutz möglich ist, dann muss erst recht auch bei beiden Rechtsgütern der präventive Rechtsgüterschutz möglich sein, welcher noch effektiver ist, indem schon die Beeinträchtigung verhindert wird.
Somit liegt eine vergleichbare Interessenlage vor, sodass eine gleiche Behandlung geboten ist.
Indem die vergleichbare Interessenlage vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Situation versehentlich nicht geregelt hat, also eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.